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Das Design der Zukunft scheint momentan bestimmt durch völlig neue Entstehungsprozesse, die sich in der synthetischen Biologie bündeln. Dieses auf den Grundlagen der Biologie und der Molekularbiologie, der Chemie, der Bio-, Informations- und Nanotechnologie, der Gentechnik sowie der Ingenieurswissenschaften basierende Wissenschaftsgebiet bietet die Möglichkeit, natürliche Prozesse in neuen Organismen zu vereinen und sie mit nie dagewesenen, neuen und exeptionellen Eigenschaften auszustatten. Anna Schröder näherte sich diesen Entwicklungen zunächst in fiktiven Prosatexten, die mit visionären wie auch beängstigenden Szenarien aus dem synthetisch-biologischen Experimentierfeld spielen und ergänzte diese um enzyklopädische Begriffsklärungen einschlägiger Termini. Die Texte thematisieren Umweltsanierung, medizinische Forschung durch Genanalyse, die Suche nach neuen Rohstoffen und die Nahrungsmittelproblematik. Es fächert sich ein imposantes Spektrum von bereits heute oder in naher Zukunft nutzbarer Technologien auf. Zugleich schwingt jedoch auch immer die Verantwortung des Handelns mit, da viele dieser Möglichkeiten noch klarer rechtlicher Definitionen bedürfen, insbesondere die Gentechnik.

Inspiriert von diesen Zukunftsvisionen und zugleich ausgestattet mit dem Respekt vor dem ungewissen Eingreifen in das Leben und seine inneren Strukturen selbst, machte sich Anna Schröder im praktischen Teil daran, mit Pilzen zu experimentieren. Im Vergleich zu vielen anderen von ihr recherchierten Materialentwicklungen boten diese eine handhabbare und vergleichsweise ungefährliche Materie. Eigenschaften wie Feuerresistenz, Wasserabweisung, Wärmeisolation, Leichtigkeit und hohe Stabilität zeichnen diese Spezies aus. In verschiedenen Versuchsreihen setzte sich Schröder mit der Frage nach der gestalterischen Relevanz der Pilze im Textildesign auseinander. Dabei erlaubt und erfordert die Verbindung der beiden Disziplinen Textildesign und synthetischer Biologie neue Denkweisen und Strategien in den Designprozess mit einzubeziehen.

 

vorher nachherpicture: Jakob Adolphi

Im Mittelpunkt der Arbeit steht das Austernpilzmyzel, das sich vorrangig von zellulosischem Material ernährt. Das Wirkungsprinzip ist die Vernetzung per Myzel. Die erste Versuchsreihe Schröders beleuchtete das Wachstum des Myzels in dunkler, feuchter Umgebung auf verschiedenen Garnen wie Seide, Wolle, Sisal, Leinen, Baumwolle und Hanf: Seide wird brüchig und ähnelt Papier, auf Wolle entsteht kaum Myzel – so könnte diese eine reservierende Funktion in einem Textil einnehmen –, auf den zellulosischen Fasern gedeiht der Pilz gut, am stabilsten auf Baumwolle. Die zweite Versuchsreihe lotete mit eigens hierfür angefertigten Flächen das Pilzwachstum in Bezug auf Machart (Technik, Musterung) und Materialkombinationen aus und kam zum Ergebnis, dass der Pilz sich auf Materialmischungen am besten vermehrte. Sogar Polyester wird bewachsen, was den Schluss zulässt, dass diese Substanz biologisch abbaubar ist. Auch die Wachstumsphasen des Austernpilzes auf verschiedenen textilen Nährgründen unterzog Schröder einer Versuchsreihe. In einer weiteren Untersuchung stellte sie fest, dass unter bestimmten Bedingungen den Fasern Farbe entzogen wird und so ein gestalterisch relevanter natürlicher Bleichprozess in Gang gesetzt werden kann.

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Als zusätzlichen Nebenschauplatz erprobte sie die Möglichkeit, Pilze in einem Muster wachsen zu lassen. Hierzu wurden Sporen niederer Pilze per Siebdruck aufgetragen. Zunehmend wurde deutlich, dass Pilze in bestimmten Situationen Farben produzieren, wodurch sich neue gestalterische Ansatzpunkte ergeben. Zukünftig soll das Wachstum der Pilze gezielt gesteuert werden. Ob dies gelingen wird, muss sich zeigen, denn, wie Anna Schröder es in ihrer Arbeit festhält: „Pilze haben anarchistische Tendenzen.“

Quelle: Textildesign - vom Experiment zur Serie; Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle & Bauhausarchiv; Hrsg: Bettina Goettke-Krogmann, Halle -Berlin 2015; S. 177

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